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    Zu den Plänen des Landes, in der früheren japanischen Schule Flüchtlinge unterzubringen

    Bad Saulgau, 20.09.2015 (Rudi Multer, ©Schwäbische Zeitung)

    Nach der Bürgerversammlung am Donnerstag zu den Plänen des Landes, die frühere japanische Schule in Bad Saulgau in eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge umzubauen, hat die Schwäbische Zeitung Antworten zu zwölf Fragen, die teilweise aus dem Publikum kamen, zusammengestellt. Rund 900 Zuhörer verfolgten die Veranstaltung im Stadtorum in Bad Saulgau.

    1. Was ist eigentlich eine Bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA)?

    In den Erstaufnahmestellen empfängt Baden-Württemberg Flüchtlinge, die dem Land nach einem bestimmten Schlüssel – 13 Prozent der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen - zugeteilt werden. In Zeiten vor dem Zuzug von so vielen Menschen reichte eine Erstaufnahmestelle in Karlsruhe aus. Inzwischen braucht das Land weitere Erstaufnahmeeinrichtungen und zusätzliche bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtungen. Letztere können bei Ende der Notlage auch wieder aufgegeben werden. Die Registrierung und die erkennungsdienstliche Behandlung will das Land künftig in der früheren US-Wohnsiedlung Patrick-Henry-Village in Heidelberg konzentrieren. Dort würden die Flüchtlinge auch ihren Asylantrag stellen. Von dort aus würden die Flüchtlinge mit Bleibeperspektive direkt auf die Gemeinschaftsunterkünfte der Landkreise verteilt, die anderen kommen in die Erstaufnahmestelle. „Im Idealfall“, so Wolf Dietrich Hammann vom Integrationsministerium, „werden die Flüchtlinge nur wenige Tage da sein“. Derzeit betreut das Land 30000 Menschen in Erstaufnahmestellen, die Verweildauer ist meist länger, weil die Landkreise in Gemeinschaftsunterkünften laut Wolf-Dietrich Hammann keinen Platz haben.

    2. Weshalb braucht das Land die Schule?

    Weil absehbar ist, dass der Platz in den bisherigen Erstaufnahmestellen bald nicht mehr ausreicht. Der Ombudsmann für Flüchtlinge in Baden-Württemberg, Karl-Heinz Wolfsturm, ein unabhängiger Ansprechpartner für Flüchtlinge, Ehrenamtliche und Anwohner, führt Ordnungsstörungen vor allem auf die dichte Belegung zurück. Vor allem in der mit 4000 Menschen belegten Erstaufnahme in Ellwangen sei die Situation durch die hohe Belegung kritisch. Entlastungen für die Einrichtungen seien nötig. Die könnte auch durch eine BEA in Bad Saulgau möglich sein. Denn: „Ein Gebäude ist allemal besser als eine Zeltunterkunft.

    3. Warum eignet sich dieser Standort? Was ist problematisch?

    Als früheres Schulgebäude mit Internatsbetrieb verfügt das Gebäude über Räumlichkeiten, die für die Flüchtlinge genutzt werden können. Außerdem kann das kompakte Gelände gesichert werden. Sanitäreinrichtungen sind vorhanden. Die Räume würden mit Doppelstockbetten belegt. Nord- und Südbau würde von Flüchtlingen bewohnt werden, der Flachdachbau mit Verwaltung und Sicherheitsdienst. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Deshalb: „Wir werden keine Wände herausreißen“, sagt Peter Moser. Gut ist die Raumhöhe, falls aufgestockt werden muss. Problematisch ist der Standort, weil die Gebäude mitten im Schulbereich mit Schulverbund und Störck-Gymnasium liegt. „1300 meist minderjährige Kinder“, so Bürgermeisterin Doris Schröter, nutzten das Gelände bisher als Weg zu Fachraumzentrum und Sportstätten. Sie seien zu Schulzeiten in diesem Bereich unterwegs.

    4. Wie groß sind die Chancen der Stadt das Land bei der Umnutzung des früheren Schulgebäudes über das Baurecht zu stoppen?

    Wohl nicht sehr groß. Der Bebauungsplan sieht bislang nur eine schulische Nutzung für die frühere japanische Schule vor. Die Stadt hofft auf ein Verfahren zur Umnutzung zur Bedarfsorientierten Erstaufnahmeeinrichtung des Landes im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und Fristen. Letztendlich landet der Vorgang beim Regierungspräsidium, einer Landesbehörde ohne kommunale Einbindung. Ein solches Verfahren bräuchte Zeit, die das Land angesichts der großen Zuwanderung von Flüchtlingen nicht hat. Bei der Bürgerversammlung am Donnerstag machte Ministerialdirektor Wolf-Dietrich Hammann vom Integrationsministerium deutlich, dass er von einer Notsituation ausgeht: „Die rechtliche Lage ist dann möglicherweise anders zu interpretieren.“ Es sei zu prüfen, ob sich in einer solchen Lage das Regierungspräsidium über die beiden Behörden auf kommunaler Ebene hinwegsetzen könne.

    5. Wie wird die Sicherheit im und um die Flüchtlingsunterkunft gewährleistet?

    Axel Drexler vom Polizeipräsidium Konstanz sagt, dass in den bereits bestehenden Erstaufnahmeeinrichtungen in Weingarten und Sigmaringen wegen der größeren Zahl an Menschen zugenommen hätten, „jedoch nicht in dem Maße wie die explodierenden Zahlen erwarten lassen.“ Er spricht von einer „geringen Einsatzfrequenz“ der Polizei in den Erstaufnahmeeinrichten, von fünf bis zehn Einsätzen pro Woche. Die Einsätze beträfen in der Hauptsache Straftaten, die Flüchtlinge untereinander begingen wie Handy-Diebstahl und Körperverletzung. Außerhalb der Einrichtung werde die Polizei in der Hauptsache bei Ladendiebstählen gerufen. In kritischen Situationen könne das Polizeipräsidium Konstanz in kurzer Zeit ausreichend Polizeikräfte schicken.

    6. Weshalb braucht die künftige bedarfsorientierte Erstaufnahmestelle (BEA) einen Zaun um das Areal?

    Er dient der Sicherheit der Menschen in der Einrichtung. Dafür sorgt auch ein Sicherheitsdienst innerhalb der Unterkunft. Die Abgrenzung mache die Einrichtung für diesen besser kontrollierbar, so Wolf-Dietrich Hammann.

    7. Wie lange dauert es, bis die ersten Flüchtlinge in die frühere japanische Schule kommen?

    Das hängt unter anderem davon ab, wie lange eine mögliche Auseinandersetzung um das Planungsrecht zwischen Stadt und Land dauert. Bei der Bauzeit geht Peter Moser, stellvertretender Amtsleiter von Vermögen und Bau, der für Landesimmobilien zuständigen Behörde, von zwei bis zweieinhalb Monaten aus. Im Gebäude gehe es vor allem um Brandschutzmaßnahmen und Baumaßnahmen im Sanitärbereich. „Die größte Baumaßnahme ist der Zaun“, sagt Peter Moser auf Nachfrage der Schwäbischen Zeitung. Außerdem sagt Ministerialdirektor Wolf-Dietrich Hammann: „Die Schule steht nicht oben, sondern unten auf der Liste“. Zunächst würden militärische Anlagen belegt, dann angemietete Landesimmobilien. Zuletzt mietete die Landesregierung eine frühere Fabrikhalle bei Ergenzingen bei Rottenburg an.

    8. Wie ist die derzeitige Lage bei der Unterbringung von Flüchtlingen im Landkreis?

    Landrätin Stefanie Bürkle betont bei der Bürgerversammlung den großen Anteil, den der Landkreis bei der Unterbringung von Flüchtlingen schon jetzt leistet. 2600 Menschen der Flüchtlinge lebten im Kreis Sigmaringen in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Das sei das Doppelte, was der Landkreis nach dem Verteilerschlüssel aufnehmen müsste. Die meisten leben in der BEA in der früheren Graf-Stauffenberg-Kaserne in Sigmaringen. Hier soll die Kapazität nochmals um 1500 auf 3500 Plätze erhöht werden. Ehrenamtliche und professionelle Helfer stießen bereits jetzt an ihre Grenzen.

    9. Wie viele Flüchtlinge werden in der ehemaligen japanischen Schule unterkommen?

    Pro „Betteninhaber“ rechnet Peter Moser, stellvertretender Amtsleiter von Vermögen und Bau mir 3,5 Quadratmetern. Nach seinen Berechnungen gäbe es damit in der früheren japanischen Schule 574 Plätze. Sollte die Menschen aus Kriegsgebieten weiterhin in so großer Zahl zu uns kommen, werde die Einrichtung auch mit mehr Menschen belegt, so Peter Moser.

    10. Wer kommt nach Deutschland, wer kommt nach Bad Saulgau?

    Die große Mehrzahl der Flüchtlinge, so Wolf-Dietrich Hammann, 85 von hundert komme inzwscshen aus Kriegsgebieten, nur noch 15 aus so genannten sicheren Herkunftsländern wie den Balkanstaaten. Hammann: „Die große Mehrzahl der Flüchtlinge wird bleiben“. Dass es darunter auch Flüchtlinge gibt, die versuchen unter falscher Identität versuchen Asyl zu bekommen, bestätigt Wolf-Dietrich Hammann.

    11. Wie lange wird die Schule BEA bleiben?

    Das weiß niemand. Wolf-Dietrich Hammann: „Ich kann nicht sagen, wann diese Notlage aufhören wird. Ich werde mich hüten dazu etwas zu sagen.“

    12. Wie sieht es mit der Nachtruhe aus, was verändert sich durch die Menschen mit einem an deren kulturellen und religiösen Hintergrund?

    Wolf-Dietrich Hammann geht davon aus, dass die Flüchtlinge nach die Strapazen der Flucht die Nachtruhe einhalten werden. Es werde aber Veränderungen geben: „Dieses Land wird sich verändern, wenn 1 Million vornehmlich aus einem anderem kulturellen Umfeld zu uns kommen.“

    Unterschrift Foto: Ministerialdirektor Wolf-Dietrich Hammann muss sich bei der Bürgerversammlung in Bad Saulgau mit den Ängsten der Bürger auseinandersetzen. Die Landesregierung möchte ein früheres Schulgebäude als Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge nutzen. Bild: Thomas Warnack, ©Schwäbische Zeitung