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    Kirche schickt Schiff zur Seenotrettung: Was ein Laupheimer Pfarrer davon hält

    Laupheim, 24.09.2019 (Anke Kumbier, ©Schwäbische Zeitung)

    Mitte September hat Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), bekannt gegeben, dass die Kirche ein Schiff zur Seenotrettung einsetzen möchte. SZ-Volontärin Anke Kumbier sprach mit Christian Keinath, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Laupheim, über diese Pläne und seine Haltung zu dem Vorhaben.

    SZ: Herr Keinath, was genau hat die Evangelische Kirche Deutschland (EKD) geplant?

    Keinath: Die EKD möchte mit anderen Organisationen zusammen ein Boot ins Mittelmeer bringen, um Menschen zu retten. Es gibt Überlegungen, das Schiff einer bereits in der Seerettung tätigen Organisation wie beispielsweise Sea-Watch zu überreichen. Das halte ich für sehr sinnvoll, denn dann wäre es in den Händen einer Organisation, die sich mit Seenotrettung auskennt. Das Schiff soll über zusätzliche Spenden finanziert werden. Durch die Initiative der Kirche bekommt das Thema wieder einen Präsenzschub. Dabei sollte man aber nicht aus dem Blick verlieren, wer eigentlich bei der Seenotrettung gefordert ist, das sind primär die Staaten der europäischen Union.

    Warum gerade jetzt?

    Die Mission Sophia, die dazu eingesetzt war, den Menschenschmuggel über das Mittelmeer zu bekämpfen, aber faktisch Menschen gerettet hat, läuft gerade aus. Wir müssen deshalb natürlich nicht nur symbolisch, sondern ganz konkret etwas machen und die Rettung von Menschen versuchen.

    Wie sollte es nach der Rettung weitergehen?

    Dazu gehört auch eine gerechte Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen. Deutschland darf nicht nur das Signal senden, dass es bereit ist Flüchtlinge aufzunehmen, sondern muss das in die Tat umsetzen. Wenn wir die Menschen aufnehmen, stellt sich auch immer die Frage der Integration. Das ist eine Aufgabe der Gesellschaft, die allerdings Ressourcen braucht – menschliche und finanzielle. In der Bankenkrise wurden locker Milliarden verteilt, mit der gleichen Intensität müsste der Staat dafür sorgen, dass Menschen hier richtig integriert werden können.

    Wie stehen Sie persönlich zu den Plänen der EKD?

    Eine Frage, die ich für mich noch nicht abschließend beantwortet habe, ist, inwiefern die Kirche selbst Politik machen und inwiefern sie Politik lediglich ermöglichen sollte, indem sie Dialogforen schafft und thematische Impulse setzt. Die EKD hat sich in diesem Fall entschieden, Politik zu machen. Wenn man historisch fragt, ob Kirche und Christen in der Zeit des Nationalsozialismus viel zu wenig oder zu zögerlich politisch gehandelt haben, dann neige ich heute zur Antwort: lieber zu viel, als zu wenig politisches Handeln.

    Warum gilt es, aus Ihrer Sicht, Menschen in Not zu retten?

    Der Auftrag der Kirche und jedes einzelnen Christen ist die Rettung von Menschen aus der Not. In der Bibel steht das Doppelgebot der Liebe. „Du sollst Gott von ganzem Herzen lieben und deinen Nächsten, wie dich selbst.“ Das Beispiel des Barmherzigen Samariters zeigt, dass mit dem Nächsten nicht nur derjenige gemeint ist, der einem emotional am nächsten ist. Denn die Samariter helfen einem am Boden liegenden Juden, obwohl Samariter und Juden eigentlich verfeindet sind. Als mein Nächster gilt also auch jemand, der mir auf den ersten Blick fremd ist.

    Was würden Sie darauf entgegnen, dass man sich doch zuerst um diejenigen kümmern sollte, die vor Ort in Not sind?

    Man darf die beiden Gruppen nicht gegeneinander ausspielen. Zumal sich die evangelische Kirche auch sehr stark vor Ort mit der Diakonie engagiert. Hinzu kommt, dass wir Europäer im 19. Jahrhundert auch nicht gefragt haben, ob wir nach Afrika dürfen, sondern wir sind mit unseren Soldaten und Kaufleuten einfach einmarschiert und haben jahrhundertealte Strukturen und traditionelle Organisationsformen des Gemeinwesens zerstört. Nach dem Ende der Kolonialzeit wurden willkürliche Gren- zen quer durch Sprachgrenzen und Ethnien hinterlassen. Wenige Länder profitieren wie Deutschland davon, dass wir nicht abgeschottet leben, sondern Handel treiben – oftmals auf Kosten weniger entwickelter Länder. Das ist Kolonialismus im 21. Jahrhundert. Kein Wunder, dass das bis heute Verwerfungen hervorruft und Menschen in die Flucht treibt.

    Spielt es für Sie eine Rolle, aus welchem Antrieb Menschen fliehen?

    Als Kirche und Gesellschaft kann man nicht aufs Mittelmeer schauen und sagen, je nachdem, was dein Antrieb zur Flucht ist, ziehen wir dich aus dem Wasser raus oder nicht. Eine einfache Lösung gibt es in einer komplexen Welt nicht. Das war aber schon früher so. Man muss Geduld haben und gleichzeitig mit Gottvertrauen das tun, was man als Gesellschaft, als christliche Kirche tun kann.

    Unterschrift Foto: „Wir müssen ganz konkret etwas machen und die Rettung von Menschen versuchen“, sagt Pfarrer Christian Keinath. Bild: Anke Kumbier, ©Schwäbische Zeitung